Willst du mal Gedanken lesen?
Geben wir es zu, alle gemeinsam: Wir alle würden manchmal gern wissen, was andere so denken. Denken tue ich viel. Schreiben auch. So lasse ich dich gern in meine Gedankenwelt eintauchen, in der Abhandlungen über soziale und kulturelle Fragen keine Seltenheit sind.
Über die Menstruation
Ich liege auf meinem Bett, die Decke unter mir. Ich wünschte, sie würde mich zudecken, in ihrer kuscheligen Wärme einhüllen. Aber ich bewege mich nicht. Ich fühle mich antriebslos. Über mir schwebt eine tiefgraue Gewitterwolke. Wenn ich mitten in ihr Innerstes sehe, bemerke ich die leichten Blitze, die nie wirklich aus der Wolke heraustreten, höre ein leises Donnergrollen, bemerke ihre dynamischen Kreisbewegungen. In ihr braut sich etwas zusammen.
Diese Wolke ist meine Menstruation. Gemeinhin wird sie auch mit üblen Worten wie „Erdbeerwoche“ entfremdet. Was soll das? Als wäre das eklige, rot-klebrige Zeug, das da aus mir herausläuft und mir krampfartige Schmerzen bereitet, gleichzusetzen mit einem fröhlichen Familienausflug auf ein leckeres Erdbeerfeld.
Ich kann mir schon denken, warum die Menstruation mit derart beschönigenden Worten bezeichnet wird. Die eine Hälfte, die eine solche Redensart anwendet, kann keine leibhaftige Vorstellung von der Menstruation haben. Die andere Hälfte hat eine nur allzu leibhaftige Vorstellung von der Menstruation und will möglicherweise gerade deshalb alles tun, um nicht noch über die Menstruation reden zu müssen, wenn sie einen gerade glückseligerweise mal einfach nur in Ruhe sein Leben leben lässt.
Gerne möchte ich mir wünschen, dass mehr über die Menstruation gesprochen wird. Ich finde es wichtig, offen und vorbehaltlos über das Thema sprechen zu können, das mich beschäftigt. Deswegen plappere ich ungeniert jeden, geschlechtliche und gesellschaftliche Grenzen missachtend, mit der Menstruation voll, der nicht rechtzeitig eine befriedigende Ausrede für seine Flucht finden kann.
Gerne möchte ich behaupten, es sei ja gar nichts schlimmes, über die Menstruation zu sprechen. Leider wäre das eine Lüge.
Möglicherweise will auch deswegen niemand über die Menstruation sprechen, weil es ein unglaubliches Gejammer ist. Niemand will einem Jammernden lauschen. Lasst uns doch stattdessen locker-flockig von der fröhlichen Erdbeerwoche plaudern. Tasse Tee?
Also, letztens erst hatte ich meine Erdbeerwoche. Ist jetzt auch kein herausragender Zufall, das Ereignis wiederholt sich ja recht häufig. Diesmal war es ganz, ganz, ganz besonders fröhlich. Mein Bauch zog sich hin und wieder derart heftig zusammen, dass mir Tränen des Glücks die rosig-pickligen Wangen herunterliefen.
Ich konnte geradezu spüren, wie mein Körper einen absolut nützlichen Überschuss an Östrogen und Progesteron produzierte. Es war unheimlich spannend, denn wenn ich in den Spiegel blickte, sah ich die Funktionen dieser Hormone sogar von außen: Über Nacht hatte ich deutliche 35 Kilo zugenommen, unter anderem an schmucken Pickeln, mein Körper lagerte eine immense Menge an Wasser für schwere Zeiten an, die jedem Kamel Konkurrenz gemacht hätte. Ich fühlte mich also rundum fantastisch, besonders, als ich einen dicken Pickel mitten in meinem Ohr entdeckte, als ich Kopfhörer mit melancholischer Musik einlegen wollte.
Am liebsten wollte ich mich den ganzen Tag im Spiegel ansehen und knallenge Röcke tragen, um mein neues Selbstbewusstsein für alle sichtbar zur Schau zu tragen. Überhaupt, wer wollte sich schon mit einer schmerzlindernden Wärmflasche und einem beruhigenden Tee ins Bett verkriechen, wenn man auch ordentlich um die Häuser ziehen kann! Die dunkle schwarze Wolke passt sicher perfekt in meine Handtasche.
Ich fühlte ohnehin innerlich eine nervöse Unruhe und war unkonzentriert, also kein Stress wegen der Uni oder dem Haushalt, diese alltäglichen Aufgaben warten ja bekanntlich, es ist schließlich das frohe Fest der Erdbeerwoche! Keine Panik!!!
Dräng doch schlicht und einfach die völlig berechtigten und – nein, überhaupt nicht absolut und völlig übertriebenen, wie kommst du darauf? – Sorgen einfach beiseite. Alles halb so wild. Das Toast ist zum achten Mal angebrannt? Der Freund hat keine Lust, mit einer mauligen und stimmungsschwankenden jungen Frau wärmenden Pudding essend und „Frauentee“-trinkend im 380 Grad warmen Bett die festliche Erdbeerwoche zu zelebrieren? Die WG zieht weite Bahnen um dich, weil du ständig schon halb kotzend in Affentempo zur Toilette rennst und jeden umnietest, der dir dabei im Weg steht? Hakuna Matata!
Ich hatte sogar endlich hatte ich die Chance, meinen Freund in den Wahnsinn zu treiben, ein selbstverständlich lang gehegter Wunsch. Alles fing damit an, dass er, recht erschöpft vom anstrengenden Tag, endlich in seiner WG ankam, der wohl recht alkohollastige Abend mit einem schon lang nicht mehr gesehenen Freund bevorstehend, und zu Abend aß.
Nachdem ich ihm stur etwa eineinhalb Stunden nicht mehr auf seine Nachrichten geantwortet hatte, obwohl der Bildschirm meines Telefons recht häufig hell aufleuchtete, und völlig aufgelöst, herzzerreißend heulend, tieftraurig auf meinem harten Zimmerboden saß, rief er schließlich an.
Hallo? fragte er zärtlich. ‘allo heulte ich. Ist alles in Ordnung? Fragte er mit betonter Vorsicht. Dann sprudelte alles aus mir heraus. Wie konnte er es nur wagen, ohne mich zu essen, ja, mich nicht einmal zu fragen und überhaupt, wie würde er sich denn fühlen, wenn ich ihm sagen würde, dass ich schon zu Abend gegessen habe?!
Wahrscheinlich hätte er geantwortet, dass es ihm vollkommen schnurzpiepegal gewesen wäre. Aber mein Freund ist schlau. Im Angesicht der Höhle des Löwen nahm er meine irrationale Stimmung sehr ernst. So orderte er mich aus dem Haus, umarmte mich lange und wärmend, zückte schließlich wie ein flüchtendes Wildtier mit großen Augen zunächst Schneidemesser, schließlich Portemonnaie, weil es dann schnell gehen muss, um mir ein Abendessen zu organisieren. Doch in meiner Rolle als blindwütige Löwin blieb mir keine Wahl: Ich motzte ihn an, warum die Falafelrolle so teuer sei. Als wäre er der persönlich Verantwortliche.
Ich hätte einfach dankbar sein müssen.
Dankbar beispielsweise dafür, dass die Erdbeerwoche mir immer genau im richtigen Moment einen überschwänglichen Schuss Hormone schenkt. Saisonschlussverkauf, kostenloser Versand möglich!
So schwang mein bemerkenswert drängender Hunger innerhalb von Millisekunden in absolute Appetitlosigkeit, ja sogar in die altbekannte Übelkeit um. Bekanntlich macht die Welt nicht plötzlich aus Höflichkeit und Rücksichtnahme Pause, wenn ich die durchaus aufregende Erdbeerwoche zelebriere. So schnippelte und hantierte der Dönerverkäufer fröhlich weiter hinter der Theke und stellte mir heraus- und überfordernde Fragen wie: Wollen Sie scharf?
Mandylein, dir wurde eine Frage gestellt, magst du sie nicht beantworten? Fragte mich mein geistesanwesender Freund, nachdem mein starrer Blick auf dem Metallgefäß mit dem Rotkraut eingefroren war. Ich bemerkte nicht einmal, dass er seine Wortwahl mittlerweile an ein fünfjähriges Kind angepasst hatte.
Scharf. Denke ich langsam. Ja. Nein! Doch. Ich weiß es nicht! Wann hat das alles endlich ein Ende? Warum machen mir alle mit dieser Entscheidung so einen Stress? Was ist los mit mir? Warum müssen Menschen essen? Warum muss ich weinen?
Ich glaube, sagte mein Freund und wendete sich dem Dönerverkäufer zu, sie nimmt ihn ohne scharf.
Mit meinem Versuch, über die Erdbeerwoche zu berichten, bin ich also doch wieder bei der Menstruation gelandet. Leider ist die dunkle Gewitterwolke über meinem Kopf für andere nicht sichtbar. Deswegen spreche ich über die Menstruation. Ich nenne die Menstruation nicht beschönigend die Erdbeerwoche. Das hilft niemandem, mich zu verstehen. Mir selbst schon gar nicht.
Für meine nächste Menstruation allerdings habe ich mir etwas vorgenommen. Um meinen lieben Freund zu schonen, werde ich reichlich Essbares in Reichweite haben. Am besten Erdbeeren.
Von Mandy Lüssenhop
Dieser Beitrag entstand im Zuge eines kleinen Selbstexperiments, während dem ich mich im Kolumnen-Schreiben übte. Die Kolumnen schickte ich über einen Mailverteiler zunächst an Freunde und Familie, um ausgewählte Exemplare nun zu veröffentlichen.
Bildquelle: Eigene Aufnahme
Bis heute wird die Menstruation beschönigt und tabuisiert und du hast durch diesen Artikel auf den Punkt gebracht. Weiter so!
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