Gestern saß ich mit meinen Mitbewohnerinnen am Bach. Die Polizei kontrollierte unsere Ausweise, sagte, wir müssten ein (für eine einfache Ordnungwidrigkeit unverhältnismäßig hohes) Bußgeld von 250 Euro zahlen, wohnten wir nicht zusammen. Seit Wochen plagen mich tiefgreifende Bedenken, die ich mich nicht zu äußern wagte. Auch jetzt, wo ich mich für die demokratischen Grundrechte unserer Gesellschaft einsetze, höre ich die Aussage „Willst du denn, dass tausende Menschen an dem Virus sterben?“ Niemand der Fragenden kann diese Aussage ernsthaft so meinen. Die Maßnahmen der Bundesregierung setzen derzeit wesentliche demokratische Grundrechte außer Kraft und die deutsche Bevölkerung reagiert, indem sie brav lächelt. Ich bin zutiefst beunruhigt darüber, wie wenig kritisch wir mit diesen „Maßnahmen“ umgehen und habe einen Brief an die Bundesregierung sowie den Bundestag geschrieben, an meine Tübinger Abgeordneten und einige Zeitungen geschickt und möchte ihn hier öffentlich machen.
Nachtrag: Mich erreichten einige kritische Mails, zu denen ich mich gern äußern würde, da Verdacht besteht, dass ich hier falsch verstanden werden könnte. Mir ist es wichtig zu betonen, dass ich mich mit diesem Beitrag nicht gegen die Maßnahmen wende – sondern gegen die Aussetzung von absolut geltenden Grundrechten. Dies ist ein meilenweiter Unterschied und ich möchte, dass dieser hier verstanden wird.
Ich behalte meine grundsätzliche Zustimmung dafür, Solidarität gegenüber Risikogruppen zu zeigen und Krankenhäusern wie Politik dabei zu unterstützen, sich in Bezug auf die Behandlung von Sara-CoV-2 Patienten ausreichend vorzubereiten. Ich finde es vernünftig, an die Bevölkerung zu appellieren, hier wesentliche Hygienevorgaben einzuhalten und im öffentlichen Raum verantwortungsvoll zu handeln. Ausdrücklich finde ich die mediale Aufklärung und stetige Berichterstattung und Erklärung politischer Maßnahmen an die Bevölkerung gut gelungen.
Dabei und auch in meinem eigenen Umfeld ist mir jedoch aufgefallen, dass diese Maßnahmen in zentralen Bereichen gegen die in der Verfassung gesicherten Grundrechte verstoßen – Grundrechte, die lang erkämpft wurden. Ich war erschüttert, dass diese Rechte, die allein uns unser alltägliches Leben in Freiheit und Sicherheit gewähren und daher absolut gelten (!) Außerkraftsetzung gesetzt werden können.
Dieses Gefühl des Vertrauensverlustes wird bleiben, wenn hier nicht aktiv gegengesteuert wird. Dieser Artikel richtet sich gegen die Einschränkung der Grundrechte unter Beibehaltung der Zustimmung dafür, die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Virologen und ihre Ratschläge zu vereinbaren mit den Grundrechten – und daher sind wissenschaftliche Erkenntnisse auch aus anderen Fachbereichen und interdisziplinäre Forschung gefragt.
Ein Politikwissenschaftler wäre mit den Vorschlägen der Virologen so, wie diese sich praktisch zeigen, keineswegs einverstanden. Wir leben aber in einer Demokratie, die nicht aus nur einer Bevölkerungsgruppe besteht, sondern mit 80 Millionen Einwohnern theoretisch 80 Millionen Interessen zu vertreten hat.
Demos ist das Volk, das herrscht. Weil das bei 80 Millionen Einwohnern ein bisschen chaotisch werden würde, leben wir in einer repräsentativen Demokratie. Aufgabe einer repräsentativ-demokratischen Politik ist seit jeher, die Interessen all ihrer BürgerInnen zu repräsentieren. Daher halte ich es für durchaus legitim, mich mit meinen Interessen an meine Interessensrepräsentanten zu wenden.
Es geht bei der Grundrechte-Debatte um die Grundsätze, auf denen unsere gesamte Gesellschaft beruht und nicht darum, Rücksichtnahme, Fürsorge und Gesundheit zu negieren.
Es geht um Solidarität für Alle.
Brief einer Studentin über die Maßnahmen während der Corona-Krise: Mein Vertrauen in die Demokratie
Liebe Bundesregierung, lieber Bundestag,
seit einer Weile beschleicht mich ein ungutes Gefühl, das ich zunächst zu verdrängen suchte. Die Maßnahmen, welche aufgrund des Sars-Cov-2 (Corona-Virus) von Bund und Ländern initiiert wurden, beschränken wesentliche Grund- und Freiheitsrechte, welche durch die deutsche Verfassung geschützt werden (sollten). Diese Außerkraftsetzung der demokratischen Grundrechte beschränken und verstoßen teilweise auch gegen die von den Vereinten Nationen deklarierten allgemeinen Menschenrechte, insbesondere tasten sie die Würde der Menschen an. Lassen Sie mich dies beispielhaft anführen:
1. Die Würde des Menschen ist unantastbar? Die Sicherheitsverordnungen verhindern einen würdevollen Tod. Menschen dürfen ihre (sterbenden) Verwandten nicht besuchen. Dieser Einschnitt in die als heilig geltenden familiären Bande und unser Recht auf Würde insbesondere im Sterbeprozess sehe ich hier massiv verletzt. Insbesondere Italien und die USA setzen erschreckende Exempel: Töchter und Söhne, die ihre Eltern im Krankenhaus allein sterben lassen müssen; Familienmitglieder, welche mit ihren Autos auf „Grab-Schau“ fahren, als besuchten sie ein Autokino. Auch in Deutschland ist es Familienmitgliedern nicht erlaubt, ihre Verwandten in Pflegeeinrichtungen zu besuchen. Ich finde das zutiefst erschreckend.
2. Gerichtsbarkeit. Gerichtsprozesse (die auch von internationalem Interesse sind) werden abgesagt, wie derzeit der Prozess um die LoveParade. Familienmitglieder, die auf Gerechtigkeit vonseiten des Staates gehofft hatten, um von ihren verlorenen Söhnen oder Töchtern einen friedvollen Abschied nehmen zu können, werden mindestens enttäuscht sein. Für den Trauerprozess und ihr Vertrauen in die deutschen Gerichte ist dies keineswegs förderlich. Ein weiteres Beispiel eines Klägers auf sein Grundrecht, zu demonstrieren, ist unten aufgeführt.
3. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit wird hier gerade faktisch außer Kraft gesetzt. Ein Nachbar, der in einer klimapolitisch als durchweg positiv zu betrachtenden Fahrgemeinschaft zur Arbeit fuhr, musste mitsamt allen Mitfahrern und Chef ein Bußgeld von 250 Euro bezahlen. Menschen, die sich einfach nur draußen auf eine Wiese setzen, werden dafür bestraft. Unabhängig davon, ob diese Aktionen als Ordnungswidrigkeit gelten (welche von einer üblichen Ordnungswidrigkeit, beispielsweise dem Radfahren in Fußgängerzonen – ein Verbot übrigens, das hier in Tübingen recht willkürlich mal für die eine-, mal für die andere Straße gilt – mit 15 Euro Strafgeld im Vergleich stark hinkt) und in welchem Rechtskatalog diese aufgeführt sind – nehme ich derzeit mein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahr, werde ich dafür bestraft. (Umso schlimmer, wenn sich die Außerkraftsetzung von demokratischen Grundrechten in einem einfachen Rechtsdokument über Ordnungswidrigkeiten außer Kraft setzen lässt). Kann ich die Strafe nicht zahlen, droht mir Enteignung oder Freiheitsentzug: Dafür, dass ich mein Grundrecht wahrnehme. Hier sehe ich eine massive Ungerechtigkeit, die staatlich auch noch legitimiert ist. Um den Benediktiner Notker Wolf aus einem Interview im Deutschlandfunk zu zitieren: „Wenn ich nicht einmal mehr im freien auf einer Bank ein Buch lesen darf, dann muss ich sagen: Hier sind die Grenzen überschritten.“ Weiterhin ist es mir unbegreiflich, wie es in einer Demokratie möglich sein kann, Demonstrationen in mehreren Instanzen gerichtlich zu verbieten, sodass erst das Verfassungsgericht konsultiert werden muss. Faktisch leben wir derzeit in keiner Demokratie.
4. Das Grundrecht auf Religionsfreiheit. Der Besuch einer religiösen Einrichtung ist derzeit in einem sich als Demokratie bezeichnenden Staat verboten. Zwar gibt es offenbar digitale Ausweichmöglichkeiten, die jedoch nicht jeder nutzen kann. Der Wirtschaft scheint durch die „Lockerung“ der Maßnahmen durch die Kultusministerkonferenz am Mittwoch eine hohe Priorität eingeräumt zu werden. Mir ist Ihre Einschätzung, dass in kleinen Boutiquen der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden kann und beispielsweise Baumärkte geöffnet haben, dies in einer Kirche jedoch nicht möglich sein soll, schleierhaft. Diese Institutionen dürften in der Tat sogar eine größere Wirkmacht über Regulationen (wie beispielsweise eine Bank freizulassen und häufigere Gottesdienste anzubieten; ebenso in Moscheen lässt sich der Mindestabstand einhalten) haben, als ein Ladenbesitzer. Die Maßnahmen wirken seit den Beschlüssen am Mittwoch widersprüchlich und intransparent, sodass die Verhältnismäßigkeit bei den massiven Einschränkungen der Grundrechte aus meiner Sicht nicht gegeben ist. Auch hier wird mein Vertrauen in die demokratischen Institutionen massiv verletzt.
5. Das Recht auf Bildung. Wo Schulen und Universitäten geschlossen sind, Lehrer sich selbst in Fragen der Digitalisierung überlassen bleiben (u.a. auch, weil Bund und Länder diese Frage nie merklich beachtet haben), Lehrpläne nicht umgesetzt und Abschlussprüfungen nicht stattfinden können, bleiben Lernende auf der Strecke und ihr zentrales Grundrecht ist faktisch ausgesetzt – auf eine Zeit, die für diejenigen SchülerInnen, welche aus bildungsfernen Familien kommen oder mit häuslichen Problemen konfrontiert sind, die also ohnehin stärkere Unterstützung benötigen, zu einer maßgeblichen Ungerechtigkeit führt, welche sich schon bald faktisch in Zahlen messen lassen wird. Dazu zählt auch, dass derzeit notwendige Operationen ausgesetzt werden. Hier liegt ein tiefgreifendes Problem bei den Investitionen in Gesundheit und Bildung, welche die Bundesregierung in den letzten Jahren massiv vernachlässigt hat. Ich wünsche mir hier eine deutliche Höherwertung dieser grundlegend wichtigen Einrichtungen.
6. Einseitige Informationen. Die Bundesregierung beruft sich bei ihren Maßnahmen derzeit auf „die Wissenschaft“. Ich möchte Sie als Masterstudierende gern darauf hinweisen, dass es „die Wissenschaft“ nicht gibt – es gibt einzelne wissenschaftliche Teilbereiche, welche sich mit Spezialthemen befassen und eine Expertise in bestimmten Bereichen oder wissenschaftlichen Methoden aufweisen. Die Bundesregierung beruft sich bei den Maßnahmen im Zuge der Pandemie nicht auf „die Wissenschaft“, sondern auf einen Teilbereich dieser, auf die Virologie. Weiterhin beruft sie sich weitestgehend auf ein Forschungsinstitut, das RKI, welches eine hervorragende Arbeit leistet, deren Parameter über Fallzahlen und Todesraten jedoch nicht repräsentativ sind. Eine in wissenschaftlichen Methoden geschulte Person erkennt recht schnell, dass die (ohnehin aufgrund der Verfügbarkeit beschränkten) Messungen unter Auflagen durchgeführt wurden (getestet werden nur sog. „Verdachtspersonen“, Personen aus „Risikoländern“ – wo sich mittlerweile die Frage stellt, warum Deutschland denn kein Risikogebiet sein soll – etc.) und damit nicht repräsentativ sein können: die Dunkelziffer dürfte bei Erkrankten ebenso wie bei Genesenen merklich höher liegen. Viele Todesfälle sind zudem nicht eindeutig auf das Sars-Cov-2 zurückzuführen. Hier richte ich mich mit zwei Appellen an Sie: Erstens, Lassen Sie eine repräsentative Stichprobe innerhalb Deutschlands durchführen, mit der tatsächlich gearbeitet werden kann. Zweitens, beziehen Sie interdisziplinäre Forschungen in Ihre Eruierungen ein. Es gibt nicht nur die Virologie, es gibt auch Historiker und Politikwissenschaftler, bei denen die Demokratie-Alarmglocken derzeit hörbar läuten.
7. Unser Recht auf Mündigkeit und Meinungsfreiheit. Kommunizieren Sie transparent! Es beunruhigt mich tief, wenn ich die Zustimmung meiner Mitmenschen und den politischen Konsens erlebe (oder gar die Verwendung von Kriegsrhetorik vonseiten einiger Politiker!). Als Friedensforscherin ist mir die absolute Notwendigkeit von Konflikten durchweg bewusst. Derzeit wird in Deutschland nicht gestritten. Stattdessen wird die Bevölkerung bevormundet und durch eine intransparente Kommunikation vonseiten der Verantwortlichen – Ihnen – über die Bedeutung einer Außerkraftsetzung von Grundrechten, nicht belehrt, sodass sie sich auch bevormunden lassen. Nachdem Kant unser Verständnis als vernunftorientierte Menschen so maßgeblich geprägt hat (eine geschichtlich Wendung, welche wir offenbar ebenfalls mittlerweile als selbstverständlich beiseite drängen), ist es nicht zu verantworten, den Menschen ihre Eigenverantwortung abzusprechen – eine Eigenverantwortung, an welche die Bundeskanzlerin Angela Merkel vor nur wenigen Wochen noch appellierte (und die meiner Ansicht nach den Bürgern in einer so rücksichtsvollen Gesellschaft wie dieser durchaus zuzutrauen ist). Nur wer über vollständige und transparente Informationen verfügt, ist in der Lage, sich gemäß des Beutelsbacher Konsens‘ eine ausgewogene Meinung zu bilden – welche dann auch kundgetan werden darf. Die Aussetzungen der Grundrechte werden jedoch regelrecht begrüßt, befürwortet, mit offenen Armen empfangen und mit strengem Blick in Selbstjustiz geahndet; mit Phrasen wie „Sie dürfen hier nicht sitzen“ oder „Also Länder wie der Iran oder Taiwan (Autokratien und Diktaturen!) die kriegen das mit den Maßnahmen ja gerade wunderbar hin, da sollte Deutschland sich mal ein Beispiel daran nehmen“. Ich hoffe, Sie merken selbst, was dies für krasse Aussagen sind. Solche Aussagen stehen in den Geschichtsbüchern – und zwar nie in einem positiven Kontext. Weiterhin ergab eine Umfrage der ZEIT, dass sich 70 Prozent der Teilnehmer eine sog. Corona-App installieren würden – wobei 50 Prozent der Befragten gleichzeitig datenschutzrechtliche Bedenken haben! Die Menschen sind bereit, ihre eigene Sicherheit zu riskieren, unterstützt von der Regierung (gutzuheißen ist, dass Gesundheitsminister Jens Spahn von dieser Idee mittlerweile wieder etwas abgerückt ist). Es erschüttert mich zutiefst, zu erkennen, auf welch schwachem Fundament unsere Demokratie steht, wie wenig Rückhalt und Bewusstsein es in der Bevölkerung für unsere Verfassung gibt. Rechte Parteien dürften sich hier gerade die Hände reiben. Ich appelliere an Sie, die Einschränkungen der Grundrechte Ihrer Bevölkerung kritisch zu kommunizieren (wie Bundeskanzlerin Angela Merkel dies durchaus tat) und in politische Bildung zu investieren. Ich appelliere an die Bevölkerung, zu denken und unsere Demokratie nicht für selbstverständlich zu nehmen, sondern sich jeden Tag aufs Neue für sie einzusetzen.
8. Das Recht auf Sicherheit und Gesundheit steht vor Freiheit? Dies ist weder der Fall, noch darf eine derartige Hierarchisierung dieser grundlegenden Werte nicht sein. So sehr Sie dafür argumentieren, die Maßnahmen gelten dem Schutz Ihrer Bevölkerung vor einer Ansteckung an Sars-Cov-2, so sehr vernachlässigen Sie gleichzeitig die Gesundheit anderer Bevölkerungsgruppen, wie jene von ÄrztInnen und Pflegekräften, welche unzureichende Schutzausrüstung haben; wie von Familien, die von häuslicher Gewalt betroffen sind; wie der psychischen Gesundheit all jener, welche nun aufgrund der Maßnahmen vollkommen isoliert leben oder von Alkoholikern, Drogenabhängigen, Obdachlosen usw., welche derzeit keine Unterstützung von entsprechenden Institutionen in Anspruch nehmen können. (Sie wissen sicherlich beispielsweise über die Probleme Bescheid, mit denen sich Tafeln derzeit konfrontiert sehen). Beispielhaft für bleibende Einschränkungen von Grundrechten aus sog. Sicherheitsgründen ist der Patriot-Act in den USA, der im Zuge von 9/11 in Kraft trat und weiterhin durchgeführt wird. Hier werden persönliche Daten intransparent von der NSA gesammelt. Auch Deutschland dürfte sich daran erinnern, was es heißt, Daten der Bevölkerung zu sammeln. Diese Verhaltensweise sollten wir in unseren Gesprächen, welche den Namen einer strittigen Diskussion derzeit nicht unbedingt würdig sind, um eine sog. Corona-App im Hinterkopf behalten.
9. Letztendlich ist das Recht auf Leben beschränkt und scheint außerhalb der deutschen Staatsgrenzen vergessen. Viele freischaffende Künstler, Selbstständige etc. plagen derzeit – trotz staatlichen Hilfeleistungen (die sehr wirkungsvoll freischaffenden Künstlern zwar kein Geld für Lebensmittel und Unterhalt zur Verfügung stellen, aber immerhin können Sie Betriebsausgaben anrechnen. Gut, dass so viele freischaffende KünsterInnen diese Ausgaben haben) Existenzängste. Die Bundesregierung hat eine historische wie aktuelle ethische Verantwortung gegenüber dem Leben auf diesem Planeten. Einen Viktor Orban, der faktisch das Parlament außer Kraft setzt, lässt die Bundesregierung derzeit unkommentiert walten. Das europäische Versprechen scheint hier gerade nicht allzu ernst genommen werden – ich möchte Ihnen gerne in Erinnerung rufen, wie unfassbar wichtig und historisch einzigartig die europäische Union als Friedensprojekt ist. Flüchtlinge, die in griechischen Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen ihr Dasein fristen (anders kann das Leben dort nicht beschrieben werden), werden mit der Bedrohung der Pandemie allein gelassen. Wir tragen eine maßgebliche und direkte historische Verantwortung für das Wohlergehen aller Menschen. Die Bundesregierung sollte ihre Bemühungen hinsichtlich der Hilfe von vor Krieg, Gewalt oder Korruption flüchtenden Menschen nicht hintenanstellen. Sie müssen mehr tun, als nur wenige unbegleitete Minderjährige aufzunehmen. Ich sehe Sie als Bundesregierung in einer definitiven Handlungspflicht.
Ich studiere seit 7 Jahren Politikwissenschaften, Soziologie und Kulturwissenschaften und beende im kommenden Jahr mein Masterstudium in Friedensforschung. Mir ist bewusst, dass ich mit meiner Auflistung ein einseitiges Bild zeichne, von dem ich allerdings derzeit besorgt bin, dass es nicht gesehen wird. Noch nie wurden mein Optimismus und mein grundlegender innerer Glaube an die Möglichkeit von Menschenrechten und Gerechtigkeit stärker erschüttert als zu dieser Zeit. Die Grundrechte gelten absolut. Eine Ausnahme – egal durch welche heldenhaften Intentionen diese begründet ist – setzen diesen Absolutheitsanspruch auf ewig außer Kraft. Solche Erinnerungen und Vertrauenserschütterungen bleiben. Ich erwarte von Ihnen als VertreterIn der Demokratie und RepräsentantIn dieser Bevölkerung, dass Sie dies nicht weiter zulassen und diese Verletzung von Grund- und Menschenrechten der Verfassung gemäß korrigieren. Ich bin mir sicher, dass Sie Lösungen für den Schutz der Risikogruppen finden, welche die grundlegenden Rechte Ihrer Bevölkerung nicht außer Kraft setzt.
Diese Beschneidungen der menschlichen, der individuellen und der demokratischen Grundrechte besorgen mich zutiefst. Eine Gesellschaft, die nur an ihre Sicherheit denkt, läuft Gefahr, unmenschlich zu werden, ohne es zu bemerken.
Ich grüße Sie herzlich in der Hoffnung, einen erinnernden Weckruf für die demokratischen Grundrechte bei Ihnen ausgelöst zu haben (der sich hoffentlich in Handlungen Ihrerseits faktisch äußert),
Mandy Lüssenhop
Tübingen, den 19. April 2020
Bildquelle Titelbild: Pixabay (CC)
Was mich bei alldem stört, ist, dass wir weiter arbeiten sollen und jetzt sogar die Schulen wieder geöffnet werden sollen, aber unsre Freizeit weiter beschränkt wäre. Das Virus scheint kapitalistisch zu sein, denn die Wirtschaft will es nicht schädigen. Zu schädigen sind nur die Menschen in den Freizeitaktivitäten.
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Auch wenn mir Ihr Gedanke gefällt, wäre es mir sehr wichtig, das Ganze etwas differenzierter zu sehen: home office, Kurzarbeit, Entlassungen, finanzielle Einbußen, schlechte Aktienkurse – das würde sich „die Wirtschaft“ sicher auch anders wünschen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte nicht den Klischee Bankier trösten, der mit Blick auf seinen Pool vom Massagestuhl aus seine Geschäfte tätigen kann. Ich denke an die Menschen, für die Arbeit zum einen Existenz, zum anderen Würde und soziale Kontakte bedeutet. „Die Wirtschaft“ ist vom Virus geschädigt. Das wäre nicht schlimm, wenn „die Wirtschaft“ nicht auch aus uns Menschen besteht. In anderen Worten, allein dass wir zur Arbeit gehen sollen (was, wenn man pedantisch ist, so nicht stimmt – s. Verweis auf Kurzarbeit, home office, Entlassungen) macht das Virus für mich nicht kapitalistisch. Das ist für mich eher der Fall weil es die Schwächsten von uns treffen wird.
Auch sehe ich die Verbindung zwischen Schule und Kapitalismus nicht ganz: Für viele Schüler*innen ist der Raum Schule sehr wichtig – nicht nur weil sie dort ihre Freund*innen wiedersehen, sondern auch für diejenigen, die ein weniger freundliches Zuhause haben.
Bleiben Sie gesund.
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da gibste dir so viel mühe intellektuell zu erscheinen, zeigst stolz deine ganzen abschlüsse und teilnahmeurkunden und am ende hast du grundlegendste prinzipien scheinbar nicht verstanden. echauffierst dich hier über kleinigkeiten, die dich scheinbar in deinem ganzen glauben an demokratie und menschrechte erschüttern, dabei wäre dein beitrag zur solidarität in diesem fall doch so einfach, ganz ohne dass du belanglose plakate kritzeln musst.
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Danke für Ihren Kommentar. Mir ist bewusst, dass sich viele an dieser Stelle eine Solidaritätsbekundung wünschen. In diesem Fall würde ich Sie bitten, meinen Brief noch einmal (genau) zu lesen. Ich würde mir ebenso gerne von Ihnen wünschen, mir respektvoll zu begegnen und zu einem konstruktiven Dialog beizutragen. Beispielsweise referieren Sie auf „zentrale Prinzipien“. Diese dürfen Sie gern weiter ausführen. Ihre Kommentare kann ebenfalls jeder lesen, dieser Blog ist öffentlich und ich bin sicher, Ihre Ansichten können die Leser dieses Briefes nur bereichern. Freundliche Grüße!
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