Sie versammeln sich. Sie fühlen. Sie denken. Sie bekommen ein neues Bewusstsein. Eine neue Erkenntnis: Das, was sie immer hatten, war nicht selbstverständlich. Andere Generationen hatten es hart erkämpft. Hart erkämpft für sie. Nun mussten sie kämpfen für das, was nicht mehr selbstverständlich war.
New York ist zur Hauptstadt des Widerstandes geworden. Widerstand gegen die Wahl Donald Trump’s als Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Folgend schildere ich meine Eindrücke über New Yorker Reaktionen eine Woche nach dem unerwarteten Wahlergebnis. Meine persönliche Erkenntnis ist: Überraschend positiv!
Bunte Post It-s als Selbsttherapie einer ganzen Stadt

Noch am Wahlabend startete die erste, noch gefühlsgeladene Protestwelle. New Yorker lassen ihren Gefühlen auf kreative Weise freien Lauf. Auf bunten Post-It’s beschreiben junge, alte, muslimische, afroamerikanische, hispanische, weibliche, männliche und „irgendwas-dazwischene“ Amerikaner und Besucher aus aller Welt ihre Gedanken und Gefühle. Überall in der Subway, Station Union Square, kleben Sprüche und Bilder, welche die Reaktionen nach der Wahl abbilden. Gedacht als Selbsttherapie, ist die Aktion längst zum Selbstläufer geworden. Täglich kommen auch Tage nach der Wahl noch zahlreiche Interessierte, die sich Zeit nehmen für das Studium der Gefühle ihrer Mitmenschen – oder sich einfach auf dem Weg zur Arbeit selbst einen Block und einen Stift schnappen.
I’m still with her.
Love Trump’s Hate.
We stand together, no matter what.
Black Lives Matter.
Nicht immer jedoch geht es dabei um die Wahl. Einige nutzen die Therapie-Wand, um persönliche Ereignisse und Gefühle zu verarbeiten, ihnen Ausdruck zu verleihen.
Werden in zwanzig Jahren wieder politische Demonstrationen in den Geschichtsbüchern thematisiert?
Nur wenige Tage nach der Wahl fanden erste Demonstrationen statt. Nicht nur in New York, im ganzen Land gehen Menschen gegen die Wahl Trump’s auf die Straßen. Sie sind nicht einverstanden mit dem Wahlergebnis. Die Demonstration nahm zwar gewaltige Ausmaße an, verlief aber friedlich. Quer durch ganz Manhattan zog sich die Parade. Eines habe ich ziemlich schnell verstanden: Viele Menschen haben eine tiefsitzende Angst, was nun aus ihrem Land, was nun aus ihrem persönlichen Leben werden wird. Nicht nur die Börsen können nicht abschätzen, was kommen wird. Die tiefe Verunsicherung wird verstärkt durch die nun stückweise veröffentlichten Zukunftspläne Trumps wie beispielsweise die Wahl des stark rechts-gerichteten Stephen Bannon als seinen Chefberater. Sogar Amerikas Konservative beschreiben den ehemaligen Chef der ultrarechten Nachrichtenseite Breitbart News als Hardliner. Die Angst vor den Ratschlägen eines solchen von rechtem Gedankengut überzeugten Banker bereitet vielen Amerikanern nicht nur tiefste Sorgen, es macht sie wütend.

In meiner Mittagspause sehe ich regelmäßig Menschenversammlungen, die an den vielen in New York üblicherweise quer durch die Stadt verteilten Bildschirmen kleben und die News im Fernsehen verfolgen: Trump besucht das Weiße Haus, Bill de Blasio äußert sich besorgt über sog. „hate crimes“. So werden Angriffe auf Minderheiten wie Amerikanische Muslime oder Latinos genannt, die beispielsweise aufgrund von beleidigenden Äußerungen von bekannten Persönlichkeiten, wie Trump, begangen werden. Viele Einzelfälle wurden schon vor der Wahl vor Gericht behandelt.
Die neue politische Generation
Ich gebe es zu: Meine Generation ist eine unpolitische Generation. Schon lange werden wir mit der Kritik älterer Generationen konfrontiert, wie schon Sokrates die Jugend seiner Zeit kritisierte. Wir hatten keinen Grund, politisch zu sein. Wir waren uns der Werte, die vorherige Generationen für uns erkämpft hatten, immer sicher. Hielten Demokratie, Meinung- und Pressefreiheit, gleichgeschlechtliche Ehen, das Frauenwahlrecht und die Abschaffung der Wehrpflicht für selbstverständlich. Unsere Bildungsjahre in der Schule und in der Uni haben wir unter einer Politik eines vorausblickenden, charismatischen Obama verbracht. Ein Weltbild, in dem der Darsteller amerikanischer Freakshows der Präsident eines der mächtigsten und größten Länder dieser Erde ist, können wir nicht mit unseren bisherigen Erfahrungen vereinbaren. Wir waren blind und naiv, niemand hat wirklich je ernsthaft in Erwägung gezogen, dass diese Wahl so ausgehen könnte. Wir waren geschockt. Aus der Schockstarre jedoch ist etwas Wunderbares erwachsen: Wir werden wieder politisch. Heute gestalten wir, was für einen Effekt die Wahl morgen auf uns haben wird. Viele junge Weltbürger haben sich entschieden, dass sie den Weg, den Trump für ihre Zukunft vorsieht, nicht einschlagen wollen. Ich rede mit vielen jungen Amerikanern, aber auch mit Deutschen, Dänen, Briten (die immer wieder den Vergleich mit dem Brexit heranziehen) und Studenten aus aller Welt, Jura-Studenten, angehende Ärzte, Praktikanten in Menschenrechtsorganisationen, Café-Betreiber, Künstler. Sie alle teilen nun eine gemeinsame Überzeugung: Für ihre Werte einzustehen.
Ich muss doch jetzt was tun. Ich muss mich unbedingt politisch engagieren.
Es ist eine wunderbare Entwicklung. Ich weiß nicht, wie lang diese Stimmung anhalten wird. Aber ich spüre sie, sie ist da. Besonders berührt hat mich die Teilnahme an einem Protest von Studenten der NYU im Washington Square Park. Es war, wie man sich einen amerikanischen Studentenprotest vorstellt. Ein Sprecher steht in der Mitte, umringt von hunderten jungen Studenten. Ich sehe Amerikaner mit indischen, mexikanischen, spanischen, nahöstlichen, afrikanischen Wurzeln. Sie alle wiederholen lauthals die überzeugten Worte der jungen, gebildeten Protestsprecher. Jeder kann reden. Jeder wiederholt es.
Hi, I’m the next speaker.
„Hi, I’m the next speaker.“
My mom is an immigrant.
„My mom is an immigrant.“
I’m highly concerned.
„I’m highly concerned.“
She is likely to be deported.
„She is likely to be deported.“
Most of us,
„Most of us,“
don’t have a place to get back to.
„don’t have a place to get back to.“
Where shall we go?
„Where shall we go?“
We
„We“
have to stand together
„have to stand together“
and fight for our future!
„and fight for our future!“
Ich habe Tränen in den Augen, denn ich spüre diesen engen Zusammenhalt. Fremde Menschen, die sich nicht oder nur entfernt kennen, kämpfen für die persönlichen Belange ihrer Mitmenschen. Hören zu. Fühlen mit. Egal, welche Hautfarbe, welche Haarfarbe, welche Vergangenheit oder welche Zukunft sie trennt, in diesem Moment gehören sie zusammen, sind eine Stimme.
Ein Immobilienmogul wird abmontiert
Was eine gemeinsame Stimme erreichen kann, wird etwa eine Woche nach der Wahl deutlich. Es ist beinahe ironisch. Nun, da Trump als neuer Präsident feststeht, wird der Name des neuen Präsidenten nicht auf Gebäude geschrieben, sondern ganz im Gegenteil: Die Lettern, die den Namen Trump bilden, werden auf Gesuch einiger Einwohner von drei Gebäuden in der Upper West Side abmontiert. Jubel und Medienrummel begleitet die Neubenennung der Wolkenkratzer (welche nun schlicht nach der Adresse benannt werden). New Yorks Protest gegen Trump nimmt viele Formen an.
Leider kein Witz
Eine weitere Form ist das wohl nur selten erscheinende Phänomen der Selbstkritik von Satire-Sendungen. Letzte Woche besuchte ich die Late Show, ein politisches Comedy-Format des amerikanischen Fernsehsenders CBS. Viel zu lange hätten auch Showmaster aus diesen Sendungen Donald Trump nicht ernst genommen. Das amerikanische Fernsehen macht Witze über den neuen Präsidenten. Gaststar war Bernie Sanders, es war beeindruckend, den Politiker live zu erleben. Schließt man die Augen, hört man einen 18-jährigen Idealisten, der die Probleme seines Landes thematisiert und einen politischen Wandel anstrebt, an dessen Ende ein perfektes, einheitliches Miteinander steht. Tatsächlich aber redet da ein Uralt-Politiker, der seine Ideale nie verloren hat. Ich finde das wahrlich beeindruckend. Wenngleich ich mir ein realistisches Konzept zur Umsetzung seiner heldenhaften Ziele wünsche, ein Mensch, der über Jahrzehnte persönlicher Erfahrungen hinweg seinen positiven Blick in die Zukunft nicht verloren hat, den muss ich bewundern.
Mein persönliches Gefühl hat sich seit der Wahlnacht nicht verändert. Es ist wie in einem Traum. Meine Studienjahre waren geprägt durch Obama-Jahre. Einen Immobilienmogul und Showmaster ohne politische Erfahrung als US-Amerikanischen Präsidenten kann ich nicht mit meiner Weltsicht und meinen Zukunftsvorstellungen vereinbaren. Ich bin positiv beeindruckt von der neuen, mitreißenden Stimmung, die junge Leute mobilisiert. Junge Menschen in einer Stadt voll Diversität stehen zusammen und setzen sich ein für die Werte, mit denen sie aufgewachsen sind. Ich empfinde dieses neue politische Bewusstsein als ein sehr positives Ergebnis dieser wenig positiven Wahl.
Mandy Lüssenhop
Dieser Artikel wurde in keinem konventionellen Medium publiziert.
Bildquelle Titelbild: Protestaufkleber in der New Yorker Subway, eigene Aufnahme
Wow!!!
Ich bin tief beeindruckt.
LG Papa
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