Was uns alle eint

„If everybody, Merkel, Obama played Piano…“

Bildquelle: Eigene Darstellung
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…dann sähe Aeham Ahmad eine Zukunft, in der es keinen Krieg gibt. Eine Revolution mit der Musik, wie er sagt.

Mit diesem Wunsch und seinem Klavier stand der „Pianist in den Trümmern“ am Montagabend auf der Hofbühne im Dots in Göttingen. Er hat ein Konzert im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Refugees in Concert+“ gegeben, welche 9 interdisziplinär Studierende der Georg-August Universität organisiert haben. Die Idee ist ihnen im Rahmen des Kurses „Projektteams leiten und entwickeln“ an der Zentralen Einrichtung für Sprachen- und Schlüsselqualifikationen (ZESS) gekommen. „Aufgabe war es, selbständig eine Projektidee zu entwickeln, das Projekt zu planen und durchzuführen – und das Ganze in 6 Wochen ohne finanzielle Mittel“, schreibt das Team auf der offiziellen Veranstaltungsseite auf Facebook. Neben Aeham Ahmad, der einen Kurzfilm, seinen Gesang und sein Klavierspiel dargeboten hat, trat Ballin Abbas auf.

Bildquelle: Eigene Darstellung
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Er lebt seit einem halben Jahr in einem Göttinger Flüchtlingsheim, spielt Gitarre und singt auf Arabisch, Kurdisch und Persisch. Seine Freunde Siavash (Gesang), Hamodi (Keyboard) und Hamid (Trommel) haben ihn begleitet.

Die Truppe versammelt sich pünktlich um 19 Uhr und kurz darauf versetzen orientalische Klänge das Göttinger Publikum in eine andere Kultur. Doch nicht nur sie werden mitgerissen: Einige arabisch sprechende Männer versammeln sich vor der Bühne, fassen sich an den Händen und führen einen Tanz auf. Die beiden Männer, die außen stehen, wedeln mit Taschentüchern. Das Publikum klatscht und lacht. Einige schießen Fotos mit ihren Kameras oder Smartphones, filmen die Bühne oder das Publikum, andere genießen neben der Musik ein Getränk. Aus den Fenstern der Häuser, die den Innenhof umringen, pustet jemand Seifenblasen. Als die jungen Musiker ihre Darbietung beenden, brandet Applaus auf. Das Publikum hat gute Laune, freut sich über das Wetter, die Musik, den nächsten Künstler.

Die Musik fördert Toleranz zwischen den Kulturen

Aeham Ahman ist ein Träumer, trotz allem, was er erlebt hat. Seine Bewegungen sind geschmeidig; wenn er redet, fliegen seine Arme durch die Luft. Der Musiker bindet sein Publikum ein, in alles, was er tut, sagt oder singt. Ein Klavier steht schon auf der Bühne, doch er setzt sich auf den Boden, zieht die Beine an den Körper und umschlingt sie mit seinen Armen. Der Auftritt startet mit einem Video:

In den zerbombten Straßen des Flüchtlingslagers in Yarmuk, zwischen zertrümmerten Ruinen und staubigen Straßen, umringt von mageren Kindern und hungernden Männern, steht ein Klavier. Stählerne Stäbe umgeben es, um es auf der Plattform mit den Rädern zu halten, auf der es steht. Ein Mann breitet seine langen, dunklen Finger über den Tasten aus. Er spielt einen schnellen Takt, der gemeinsam mit den Klängen seiner Stimme die Straßen erfüllt. Bumm. Einer dreht sich um, die anderen schauen weiter den Pianisten an. Bumm. Fünf Männer singen mit dem Pianisten. Bumm. Als sie das Lied schwungvoll beenden, steigt der Pianist in Ruhe von seinem Podest, verbeugt sich, grinst. Bumm. „Schnell weg hier, bevor die Straße auseinander fliegt“, sagt einer der Männer. Gemeinsam schieben sie das Klavier die schmutzigen Straßen entlang.

Clips wie dieser haben den Pianisten international bekannt gemacht. Doch sie haben auch sein Leben bedroht: Er spielte, um ein wenig Freude in die ausgebombte Stadt zu bringen. Dafür musste er mit dem Tod rechnen und fliehen, seine Frau, seine zwei kleinen Söhne (ein und drei Jahre alt), seine Eltern, seinen jüngeren Bruder und seine Freunde zurück lassen. Heute lebt Aeham Ahmad nicht mehr Syrien, sondern in Wiesbaden. Meistens jedoch tourt er durch Deutschland, mit seiner Geschichte und seinem Piano im Gepäck. Er stand auf der Bühne mit Herbert Grönemeyer und Judith Holofernes. Für sein Engagement für die Menschenrechte wurde der „Pianist in den Trümmern“ 2015 mit dem Internationalen Beethovenpreis ausgezeichnet. Es scheint, als habe sich beinahe alles zum Guten gewendet für den jungen Mann, der weder Syrer noch Palästinenser ist. Er wurde bereits mit einem Flüchtlingsstatus in Jarmuk geboren. Diesen Status teilt er mit 500.000 anderen, wie er erklärt, nachdem er seinen Kurzfilm gezeigt und ein Lied angestimmt hat. Doch dabei ist seine Stimme, die in jede Ecke des Innenhofs dringt, erfüllt von Trauer.

Die Hölle auf Erden

„Die Hölle auf Erden“, so bezeichnete UN Generalsekretär Ban Ki Moon das Flüchtlingsviertel Jarmuk. Vor dem Krieg war es ein Lager für Flüchtlinge aus Palästina und ihre Nachfahren. Mit 150.000 Einwohnern galt es als Viertel von Damaskus, Syriens Haupthaupt. Im Frühjahr 2015 kam der IS und schnitt das Lager von jeglicher Bindung an die Außenwelt ab. Doch auch die Armee der syrischen Regierung ließ, so lauten die Vorwürfe, die Menschen in Jarmuk aushungern. Für den Schutz der Palästinenser hat die syrische Regierung ihre Hilfe während der Massenproteste gegen Assad gefordert. Während nun Assad-Gegner die Bewohner von Jarmuk angegriffen haben, protestierten diese gegen ihre Bewaffnung. Assads Kalkül sei es gewesen, das Viertel auszuhungern, damit seine Bewohner fliehen und die Gefechte nahe des Regierungsviertels ein Ende nähmen. Der Krieg und seine Mittel haben nicht nur die Stadt zerstört, sondern unzählige Männer, Frauen und Kinder in den Tod geführt. Hunderte Tage waren die Menschen von jeder Versorgung ausgeschlossen, mussten von ihren Vorräten zehren. „We had to eat dogs and cats. It’s aganist the human rights to let people eat dogs and cats“, sagt Ahmad. Schließlich wurde es dem UNRWA erlaubt, Hilfspakete zu senden. Doch die UN liefere zu selten Essen, es sei zu wenig, klärt der Pianist die Göttinger Studenten, Professoren, Kinder und Einwohner auf. Es fehle zudem an medizinischer Ausstattung.
Der Clip endet. Aeham Ahmad steht auf, wischt sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen und setzt ein Zeichen: „We need peace in Syria and Palästina. In Germany we have peace. We are refugee not terrorist“. Alle klatschen. Ein Mann ruft: „You, Aeham, are not a refugee, you are a human!“.

Das Plus hinter „Refugees in concert“

Selten berührt uns ein Mensch so sehr, dass wir über das Leben nachdenken. Darüber, was für uns wirklich wichtig ist. Was für uns alle wirklich von Bedeutung ist. Was uns alle eint. Ahmad hat es gestern geschafft; ich dachte, ich fühlte, ich sah, ich hörte. Und er, er sang, er spielte, er weinte, er lachte. Wir lachten. Wir sangen. Wir klatschten.
Durch einen Zufall saßen wir in der ersten Reihe auf den Holdbänken, die Platz für gerade die Hälfte der Besucher boten. Junge Mädchen in langen Sommerkleidern und Männer mit lockigem, langen, braunem und blonden Haar standen an den Wänden, saßen auf dem Steinboden auf ihren dünnen Jacken, die wegen der warmen Temperaturen und der Sonne überflüssig waren. Sie schauten aus den Fenstern der den vollen Innenhof umringenden Häuser. Jemand pustet Seifenblasen in die Menge, alle lächeln. Sie sitzen auf Fensterbänken oder tümmeln sich um die beiden Eingänge links und rechts von der Bühne. Alle wollen sie spielen hören – die Flüchtlinge. Über die so viel berichtet wurde. Nicht nur Positives. Ich glaube, wir alle wollen endlich selbst Erfahrungen sammeln, die Berichte der Medien einen Abend ignorieren. Wir glauben an eine gute Welt, eine tolerante Welt. Deswegen kamen wir. Aus Neugierde. Doch wir bekamen so viel mehr!
Aus der ersten Reihe beobachte ich ihn, er zeigt ein Video von seiner Heimat. Das Video ist wunderbar, später erzählt er, dass sein Freund es gedreht hat. Dieser Freund ist jetzt tot, wie so viele, die im Video zu sehen sind. Es zeigt den Pianisten und seine Freunde inmitten staubiger Straßen. Sie singen, spielen Klavier, sind abgemagert. Bumm. Bumm. Das ist, was wir hören, neben der Musik, neben dem Gesang. Es ist nicht schön dort, an diesem Ort in Syrien, seiner Heimat. An diesem Ort gibt es keine Vögel mehr, erzählt er, die Kinder mussten sie essen. Sie haben nicht genug. Von allem. Sogar ihr Leben ist ihnen nicht sicher. Ich schaue ihn an. Er weint. Er hat trotz allem Heimweh. Der Schmerz liegt in jedem Winkel seines Gesichts, seine braunen Augen schauen traurig auf die Tasten seines Klaviers, mit dem Handrücken wischt er Tränen weg, seine Mundwinkel zittern. Dann spielt er. Und er singt. Und er weint. Sein Schmerz treibt ihn zu diesen wunderschönen Klängen, die seine Stimme erzeugt. Wir alle sind emotional, wir sind berührt. „Ist es nicht interessant,“ flüstere ich meiner Freundin zu, „wie wir ungewohnte Klänge sofort als schön empfinden können?“. „Und jeder empfindet Klänge anders“, antwortet sie. Nur wenige Minuten später lachen wir, klatschen wir. Lacht er. Neben mir sitzen zwei Kinder, ein Mädchen mit braunen, großen Augen und ein Junge, der dünn ist aber gleichzeitig stark aussieht. Sie verstehen die Sprache seiner Heimat und singen inbrünstig mit. Das Mädchen reicht mir ein Blatt. „Da stehen die Übersetzungen drauf“, sagt sie freundlich. Wir klatschen und lachen zusammen. Er spielt einen wilden Mix aus Beethoven und Mozart und dem Spiel „Mario“. Er spielt „alle meine Entchen“. Wir singen alle mit. Über ihn brach alles Leid einher und er lässt uns entspannt und gut gelaunt nach Hause gehen.

(Das persönliche Empfinden der Autorin)

Im Fokus des Konzerts solle die Kunst, Theater und Lyrik stehen, nicht nur die Musik: „Daher auch das kleine Plus hinter Refugees in Concert“, erklärt Nora Nenninger, eine der Veranstalterinnen des Projekts. Aeham hat es geschafft, den politischen Ernst der Freude an der Kultur hintenanzustellen. „Die Stimmung war ausgelassen“, freut die 23-jährige Projektplanerin sich. So singen an dem Abend die Besucher jeden Alters, jeden Geschlechts und jeder Nation gemeinsam und lauthals „Alle meine Entchen“, während Aeham Ahmed sie auf dem Klavier begleitet.

Quelle: Youtube, eigene Darstellung

Schließlich sendet er Küsse an das Publikum, welches keinen Eintritt bezahlt, aber für den Fortbestand der Veranstaltungsreihe gespendet hat. Von Anfang an sei eine langfristige Veranstaltungsreihe in Kooperation mit dem Dots geplant gewesen. Die Idee hinter Refugees in Concert+ war, geflüchteten Künstler/innen eine Bühne für ihre Kunst zu bieten. Nicht nur Nora erkennt, dass es sich am Ende umgekehrt hat: „Aeham und Ballin haben uns mit ihrem Auftritt so viel geschenkt!“

Ein Bericht von Mandy Lüssenhop

Letters from Yarmouk
By Aeham Ahmad

Letters from Yarmouk.
Lyrics from Gaza.
Music by Aeham Ahmad.
We send a message from yarmouk.
We are good and everthing’s great.
And you my friend how is everything going?
Yarmouk is entertaining us and making us feel very good.
I wish that God save us and protect us and make our mind comfortable.
And you boss… everything is good for you?
How are you and how is everything going?
We send a message from yarmouk.
We are good and everything’s great.
And you my friend, how is everything going?
Call us or remember us even with a question.
We are not in Akka and you are not in Yafa and there was Yafa with men there.
Now we are in a tent in the dark.
They said it’s a crime we said it’s ok we have men to defend us.
We send a message from yarmouk.
We are good and everything’s great.
And you my friend, how is everything going?

Refugees in Concert+ im Interview

Nora Nenninger, 23, studiert Soziologie an der Georg-August Universität Göttingen im 6. Semester. Sie ist ein Mitglied des neunköpfigen Organisatorenteams des Projekts „Refugees in concert+“ und erklärte sich nach dem Konzert zu einem Interview bereit.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Flüchtlinge ein Konzert geben zu lassen?
Wir alle sind im ZESS-Kurs (Zentrale Einrichtung für Sprachen und Schlüssenqualifikationen an der Georg-August Universität Göttingen, Anm. d. Verf.) „Projektteams leiten und entwickeln“ und unsere Aufgabe bestand darin, in begrenzter Zeit von letztendlich 8 Wochen ein gemeinnütziges Projekt zu gestalten. Die letzten Jahre war es zum Beispiel immer das Sommerfest der Zess. Jeder konnte seine Gedanken und Vorschläge nennen. Eine andere Idee war beispielsweise, über gesunde Ernährung für Kinder aufzuklären. Letztendlich dauerte es 2 Sitzungen bis wir uns für die Idee, eine Bühne der Begegnung für Geflüchtete Künstler zu organisieren, entschieden haben! Dabei sollte die Kunst, also auch Theater oder Lyrik und nicht nur die Musik, im Vordergrund stehen – daher auch das kleine + hinter Refugees in concert.

Gab es Probleme während der Planung?
Natürlich gab es Probleme! Zwei Leute sind aus dem Kurs gegangen. Das bedeutete, immer wieder neue Aufgaben zu verteilen. Wir hatten ja auch ein sehr begrenztes Zeitfenster. Sponsoren zu finden gestaltete sich sehr schwierig, da viele Unternehmen sich schon anderweitig für Geflüchtete engagieren oder der Uni schon Spenden zukommen ließen. Aber ich würde behaupten, dass die kurze Zeit das größte Problem war!

Was ist dir besonders Positiv im Gedächtnis geblieben?
Das Teamwork der Gruppe! Wir halfen uns gegenseitig wo wir konnten, damit das Projekt realisiert werden konnte!

Das Konzert habt ihr ohne finanzielle Mittel geplant. Wie seid ihr vorgegangen?
Zunächst haben wir eine Location gesucht und mit dem Dots gefunden – ideal mit bereits vorhandener Bühne! Dann haben wir Künstler akquiriert, das gelang vor allem gut über Facebook. Schließlich haben wir zusammengetragen, wie viel Geld wir mindestens bräuchten und somit dann Spenden von Sponsoren gesammelt. Bestimmt haben wir an die 100 gefragt, letztendlich waren 4 bereit, uns mit kleineren Geldbeträge zu unterstützen!

Was wird nun in Zukunft aus dem Konzert?
Geplant war von Anfang an, dass es eine langfristige Veranstaltung werden soll. Das bedeutet, im Dots in einigen Abständen wieder solche Veranstaltungen statt finden zu lassen, allerdings nicht nur musikalische!

Nun war gestern endlich das Konzert! Was hat dir besonders gefallen?
Die Stimmung war super locker und ausgelassen, alles hat toll geklappt – wir hätten es uns nicht besser vorstellen können! Besonders schön war, dass wirklich so viele Menschen da waren, von denen auch ein tolles Feedback kam – da hat sich die Arbeit gelohnt!

Mandy Lüssenhop

Am Inhalt des Interviews wurden lediglich kleine Änderungen zum besseren Lesefluss vorgenommen, Fragen wurden gestellt von Mandy Lüssenhop.

Dieser Artikel wurde in keinem konventionellen Medium publiziert.

Bildquelle Titelbild: Aheam Ahmad in Göttingen, eigene Aufnahme

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Ein Kommentar zu „Was uns alle eint

  1. WOW! Mercie!! Könnte einen Moment dauern, bis ich das durch habe.Lieben GrußThorsten

    <!– mandy lüssenhop <comment-reply@wordpress.com> h

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