Islam, Islamismus, Politik. Warum das Grundsatzprogramm der Alternativen für Deutschland diffus ist.
Der Islam gehört nicht zu Deutschland. – Grundsatzprogramm AfD vom 01. Mai 2016
Einige kritische Punkte enthält das Grundsatzprogramm der Alternativen für Deutschland, AfD. Für kritisches Denken war auf dem gestrigen Parteitag jedoch keine Zeit: Ja, Nein; im Minutentakt wurden komplexe Themen, über die Parteiintern vier Jahre diskutiert wurde, zum ersten rechtsgültigen Grundsatzprogramm der AfD herunter gebrochen.
Kernpunkte: Raus aus der EU (jeder Europäer sei ja sowieso dagegen), Volksabstimmungen nach Schweizer Modell (am liebsten über die Abschaffung des Euro), keine Verschärfung des Waffenrechts (Terroristen kriegen die Dinger ja trotzdem), Sicherheit geht vor Datenschutz (die Partei sieht sich selbst übrigens als liberal), Stärkung des traditionellen Familienmodells (Kitas schließen, die greifen eh zu stark in die Erziehung ein), Forderung: „Mehr Kinder statt Masseneinwanderung“ (ein vorbildliches Exemplar an Realitätsferne), gegen Abtreibungen (zum „Schutz“ der Mutter versteht sich), gegen Multikulturalismus (der „relativiere“ deutsche Kultur: Kant, Heine, alles nichts mehr wert, ist doch klar), die Abschaffung des Pluralismus in der öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft („um die leistungsfähige private Medienlandschaft nicht durch unfaire Konkurrenz zu behindern“ – also den Teil der Medienlandschaft, mit dem die Partei keinen so offenen Streit austrägt). Und natürlich: Die Ausklammerung des Islam aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit.
Aussagen des AfD-Vize Alexander Gauland unterstellen: Der Islam sei nicht mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar, wolle Regeln für das Zusammenleben in Deutschland aufstellen, Minarette und der Ruf des Muezzin als islamische Herrschaftssymbole sollen verboten werden und der Islam falle nicht unter die Religionsfreiheit, da er Ansprüche an den Staat stelle.
Wissen wir, was die AfD mit dem Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ eigentlich meint? Die Partei selbst scheint es nicht zu wissen: Die teils akademisch ausgebildeten Parteimitglieder schmeißen mit semi-wissenschaftlichen Begriffen um sich. Fundamentalisten, Islam, Terror, christliches Abendland, Mudschaeddin, politischer Islam. Dabei differenzieren die Parteimitglieder weder im Gespräch noch im Grundsatzprogramm die Begriffe, scheinen oft nicht einmal zu wissen, was sie bedeuten. Für bestimmte Bedeutungen verwenden sie falsche Begriffe. Bei der Rechtfertigung dieses Grundsatzes greift die Alternative für Deutschland auf aktuelle Debatten zurück, deutet diese um oder differenziert sie nicht aus. Der „Erzeugung längst überwundener Vorurteile“ könne die Partei nicht länger zusehen, steht in der Präambel des Programms. Die Partei trägt nicht besonders viel zu ihrem eigenen Grundsatzprogramm bei.
Ein Einblick in die Theorie der Definitionen
Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk unternahm der Partei-Vize Alexander Gauland heute morgen einen Erklärungsversuch: Die AfD wolle nicht, dass der politische Islam mit Berufung auf die Shari’a Regeln für unser Zusammenleben aufstelle.
Aha!
Arbeiten wir uns diesen Satz einmal gemeinsam auf. Die AfD macht aufmerksam auf die Problematik, die von den Ansprüchen fundamentalistischer Islamisten auf die Gestaltung einer universellen Gesellschaftsgestaltung ausgeht.
Allgemein ist eine kritische Betrachtungsweise durchaus wichtig. Die AfD nimmt dabei jedoch essentielle begriffliche Differenzierungen nicht vor: Islam ist kein Islamismus, Fundamentalismus ist kein rein islamistisches Phänomen, es gibt verschiedene Formen des Islam ebenso wie des Islamismus.
Was bedeutet das? Gönnen wir uns etwas begriffliche Differenzierung:
1.Der Unterschied zwischen Islam und Islamismus
Der Islam ist eine Religion. Diese hat weltweit 1,6 Milliarden Anhänger und ist monotheistisch, das heißt, es gibt einen Gott. Dieser Gott heißt: „Gott“. Übersetzt bedeutet Gott „Allah“. Anhänger des Islam heißen Muslime. Die größte Anzahl von Muslimen findet sich in Indonesien, gefolgt von Pakistan, Indien und Bangladesch.
Islamismus ist entgegen der langen Tradition der Religion des Islam ein modernes Phänomen. Er politisiert die Religion. Der Islam ist für Islamisten die Einheit von Staat und Religion (Gegenteil ist der beispielsweise in Frankreich festgeschriebene Laizismus). Islamismus existiert in mehreren Formen, grob unterscheiden lassen sich der djihadistische, gewaltbereite und der friedlich-institutionelle Islamismus. Djihad bedeutet Anstrengung. Studenten betreiben beispielsweise einen Djihad, wenn sie für ihr Studium lernen.
2. Neo-Djihad oder Djihadismus
So wird die Berufung auf die- bzw. die Neuformulierung der islamischen Djihad-Doktrin (siehe oben) von Terroristen und terroristischen Organisationen bezeichnet, um den irregulären Krieg (eine neue Form des Krieges, welche Kriegsregeln und -recht umgeht) des Terrorismus religiös zu legitimieren.
3. Fundamentalis-MEN
Fundamentalismus ist kein rein islamistisches(!) Phänomen. Jede Religion hat Vertreter, die als Fundamentalisten bezeichnet werden. Als Vater des islamistischen Fundamentalismus, kurz Islamismus, gilt Said Qutb. Was den islamistischen Fundamentalismus ausmacht, ist sein Anspruch an einen islamischen(!) Universalismus: Ziel ist eine globale Gemeinschaft aller Muslime (Umma), welche nicht gleichzusetzen ist mit dem Begriff der Nation. Dieser Gesellschaft soll eine religiös-legitimierte Ordnung dienen (Politisierung von Religion), basierend auf den Rechtsgrundsätzen der Shari’a. Der Islamismus entstand historisch als Antwort auf die weitaus komplexere Krise des technischen Rückstandes zum Westen. Islamistische Fundamentalisten streben daher nach einer sog. „Halben Moderne“: Die Übernahme moderner technischer Errungenschaften im globalen Wettbewerb bei gleichzeitiger kultureller Ablehnung westlicher Werte.
Religionsfreiheit ist Grundrecht
Die AfD macht aufmerksam auf die Problematik, die von den Ansprüchen fundamentalistischer Islamisten auf die Gestaltung einer universellen Gesellschaftsgestaltung ausgeht.
Nun, da wir herleiten können, was die Alternative für Deutschland meint, wird der Knackpunkt ihres Grundsatzprogramms und der strittigen Debatte mit der Gesellschaft deutlich:
Durch die fälschliche Verwendung des Begriffs „Islam“ beinhaltet das Grundsatzprogramm einen Standpunkt, der das Verbot der Ausübung einer Religion nahe legt. Dies darf in einem rechtsgültigen Grundsatzprogramm einer politischen Partei keineswegs vorkommen. Durch die fehlende Kenntnis über den Begriff des Islamismus und der alternativen Verwendung der Religion des Islams im Grundsatzprogramm der AfD wird ein Inhalt derart verfälscht, dass er mit dem Grundgesetz nicht mehr vereinbar ist:
Artikel 4 der Grundrechte ermöglicht die Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses und gewährleistet die ungestörte Religionsausübung. Religionsfreiheit ist Grundrecht.
Die geforderte Einschränkung der vollständigen Ausübung der Religion des Islam ist nicht grundsatzkonform. Ein Standpunkt zum Ausschluss des politischen Islamismus aus der Politik, wie Herr Gauland es im Interview erklärte, wäre unter gewissen Umständen möglich. Um einen Vorwurf der Diskriminierung zu umgehen, könnte es im Grundsatzprogramm ganz allgemein heißen: Die AfD steht für die Trennung von Religion und Politik. Kritisch mag dieser Punkt noch immer sein, differenzierter ist er allemal.
Mandy Lüssenhop
Dieser Artikel wurde in keinem konventionellen Medium publiziert.
Bildquelle Titelbild: Multikultur dargestellt in einer Street Art in New York, Pixabay (CC)