Groteske Weltmachtallüren

Hat das Duckmäusertum satt: Oppositionsführer Gysi zum NSA-Skandal

Als Reaktion auf die jüngsten Enthüllungen in der NSA-Affäre reflektiert Gregor Gysi mit scharfen Worten die Rolle Deutschlands als Partner der USA, die Tragweite und Folgen der Überwachung, das Verhalten in der Regierung und die Bedeutung des Whistleblowers Edward Snowden.

Gysi findet klare Worte: „Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung!“. Lautstark kritisiert der Fraktionschef der Linkspartei das Verhalten der Regierung.
Am Rednerpult des Deutschen Bundestags fordert der Oppositionsführer zum Handeln auf: die Affäre sei ein Skandal, zu dessen Aufklärung die Regierung nicht beigetragen habe. Nicht einmal Milliardenschäden für Unternehmen durch Wirtschaftsspionage lasse sie aufhorchen.
Snowden enthüllte Anfang Juni 2013 die weltweite Datenspionage der „Five Eyes“ Großbritannien, Australien, Kanada, Neuseeland und USA. Dafür gebühre ihm nicht nur Dank, sondern auch der Friedensnobelpreis.
Google, Amazon, Facebook, Twitter, Microsoft: Die amerikanischen und britischen Geheimdienste nutzten systematisch Internettechnologien und Deals mit sozialen Medien, um den Rest der Welt und einander gegenseitig auszuspionieren.
Snowden wolle die Welt vor Kriminalität schützen. Deutschlands Aufgabe sei es nun, Edward Snowden vor Kriminalität zu schützen. Erst dann sei Deutschland souverän. Der Whistleblower hat in Russland Aysl bekommen – dass sich Putin derzeit um dessen Sicherheit kümmere sei grotesk. Gysi kann sich nicht erinnern, seit wann das Sicherheitsverhältnis zu Putin so eng ist.

„Nicht mehr 1949 – wir haben 2013!“

Misstrauen gegenüber Deutschland vonseiten den USA, Großbritannien und Frankreich sei nach dem zweiten Weltkrieg angebracht und Spionage daher verständlich und legitim gewesen. Doch heute kämpfe man gemeinsame Kriege – Spionage unter Freunden sei nicht hinnehmbar. Wir seien eben nicht mehr im Jahre 1949 sondern in 2013.

Unter welchem Verdacht stehe denn Deutschlands Kanzlerin Merkel?, fragt Gysi die Bundestagsabgeordneten rhetorisch. Bereits durch das Wirtschaftsspionageprogramm Echelon wurde die Existenz eines globalen Kommunikationsabhörsystems aufgedeckt. Schon damals wäre der Zeitpunkt zu handeln gekommen.

„Wir sind getäuscht worden!“, ruft der Fraktionsvorsitzende empört aus. Getäuscht hat sich vor allem auch der ehemalige Bundesinnenminister Hans Peter Friedrich, als er glaubte die Affäre sei vorbei. Gysi fordert ihn auf seinen Fehler einzugestehen und sich bei den Bürgern für seinen Irrtum zu entschuldigen – dass sei er ihnen schuldig.

Transparenz im Wirrwarr

Die rechtliche Grundlage sei wirr: welche Verträge gelten, welche wurden aufgehoben und – was steht überhaupt drin? Mehr Transparenz fordert der Politiker von der Regierung – darauf haben die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch.

Geheimverträge seien über das Pariser Abkommen hinweg beschlossen worden, die auch nach den Zwei-Plus-Vier-Verträgen nicht aufgehoben worden seien. Vier Mächte beschlossen die Verträge: die Vereinbarungen zwischen der BRD, der ehemaligen DDR, Frankreich, Großbritannien und den USA bestünden weiterhin, nur jene mit Russland seien aufgehoben worden. Im Sommer 2013 seien dann alle Verträge für unwirksam erklärt worden – wie, sei unklar. Diese verwirrende Intransparenz sei für den Politiker unerklärlich.

Nicht nur die Verträge sind intransparent – auch Institutionen wie das European Technical Center (ETC) der NSA in Wiesbaden. Der Bevölkerung seien keine Informationen darüber zuteil gekommen, was dort betrieben werden solle.

Auch die Rolle des BND sei wirr. Anhand von vier Szenarien beschreibt er das Fehlverhalten des Bundesnachrichtendienstes. Dieser habe die Spionage der britischen und amerikanischen Geheimdienste erstens unterstützt oder zweitens darüber Bescheid gewusst und die Information nicht weiter gegeben. Andere Möglichkeiten wären drittens, dass der BRD eingeweiht gewesen wäre aber das Treiben der NSA nicht unterstützt und nicht weiter geben habe oder es, viertens, überhaupt nicht gewusst habe. Bei Zutreffen des letzten Falles sei der BND, laut Gysi, so unfähig, dass man ihn auflösen könne.

Habe der deutsche Geheimdienst seine Informationen aber weiter geben, habe die Regierung durch ihre Untätigkeit ihr Mandat, Schaden vom Deutschen Volk abzuwenden, verletzt. Das Völkerrecht sehe vor, Beteiligte der US- und der britischen Botschaft zur Persona non grata zu erklären – dies habe die Regierung versäumt.

„Haben Sie endlich mal Mumm!“

Ausbleibende Handlungen vonseiten der Regierung bringt Gysi dazu, Deutschland als einen Duckmäuser zu sehen: aus Angst, (wirtschaftliche) Sympathien der USA zu verlieren, widerspreche Deutschland nicht. „Ich bin es so was von Leid“, schimpft der Berliner.

Internationale Freundschaft sei nur auf Augenhöhe möglich: gegenseitige Achtung und Respekt kann man nicht durch Heuchelei und Dulden von unrechtem Handeln erreichen. Nur durch den „Mumm“, Souverän und gleichberechtigt gegenüber den USA aufzutreten, könne den „Weltmachtallüren“ der Vereinigten Staaten ein Gegenpol gestellt werden. Aktiv fordert Gysi die Bundeskanzlerin und den Bundesinnenminister auf, eine andere Haltung einzunehmen.

Das Ende seiner Rede unterstreicht Gysi demonstrativ mit einem Klopfer auf das Rednerpult.

Ein Bericht von Nora Bochnig, Mandy Lüssenhop, Hermann Lücken genannt Klaasen und Nina Lütjerodt

Quelle: Youtube

Dieser Bericht entstand im Rahmen eines Medienseminars der Universität Göttingen in Gemeinschaftsarbeit und wurde in keinem kommerziellen Medium veröffentlicht.

Bildquelle Titelbild: Eine Maus als inhaltsleeren Titelbezug, Pixabay (CC)

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