Ich habe zwei Erwartungen, als ich mich entscheide, einen Tag komplett auf jegliche Nutzung von Medien zu verzichten:
Erstens; das sei mittlerweile unmöglich und
Zweitens; dieser Beitrag würde eine Kritik über die Unfähigkeit, ohne eine globale Vernetzung den (Uni-)Alltag zu meistern.
Ich nehme vorweg, dass sich die erste Erwartung für mich bewahrheitete. Doch ich hätte nicht gedacht, dass aus diesem Beitrag eine Liebeserklärung statt einer Kritik würde!
Wir wissen, dass uns die ständige Erreichbarkeit krank macht. Wir sind gestresst, wollen die Mails, die wir schon auf unseren Mobiltelefonen empfangen, sofort beantworten. Wir wollen für unsere Freunde, für unsere Eltern und für die Arbeit ständig erreichbar sein – und jagen dabei den Terminen so sehr hinterher, dass wir das Gefühl haben nichts zu schaffen. Die Lösung liegt nahe: einfach mal abschalten!
Was sind medienferne Unternehmungen? Mir ist viel eingefallen: schwimmen gehen, meditieren, kochen, spazieren und/oder wandern gehen, putzen, generell Sport treiben, Fahrrad reparieren und mal wieder persönlich mit meinen Freunden sprechen.
Mein Fazit ist ernüchternd: der Schein trügt. Bei Aktivitäten, die medienfern zu sein scheinen, sind Medien oft nicht fern:
Mein Tag beginnt mit einem komischen Gefühl. Der Wecker hat nicht geklingelt, ich bin von allein aufgewacht. Als ich die Augen aufschlage, unterdrücke ich den Griff zum Mobiltelefon und weiß dann nichts mit mir anzufangen. Dieses Phänomen der Internetabhängigkeit erklärt der Fachverband Medienabhängigkeit e.V. wie folgt: „[…] die neuen digitalen Medien [können] angesichts ihrer ubiquitären Verfügbarkeit und ihrer scheinbar grenzenlosen Interaktivität eine für Medien neuartige Dimension der Beziehung zu ihrem Konsumenten ausbilden, die eine Abhängigkeitsentwicklung befördern können“. Habe ich eine Form von Beziehung zu meinem Mobiltelefon aufgebaut? Ich denke an meine Liste nicht-medialer Aktivitäten und bin sofort motiviert. Psychische Sehnsucht nach einem Gegenstand? Pah!
Ich nehme eine Dusche, ohne Zeitdruck, ohne Stress, fühle mich entspannt. Ist die dauerhafte Nutzung von Medien der Grund für unser allgegenwärtiges Zeitdruck-Gefühl? Ohne zu wissen wie spät es ist (eine Uhr an der Wand war wegen der Uhr in der Tasche nie relevant) mache ich einen Spaziergang in freier Natur. Ich bin ganz allein mit meinen Gedanken, denen ich ihren freien Lauf lasse. Es dauert eine Weile, bis ich von TO-DO-Listen und Terminplanung über Erlebnisrekonstruktion auf Gedanken komme, die sich ganz um mich drehen. Wie lange habe ich keine Zeit mehr mit mir selbst verbracht? Das erscheint mir befremdlich.
Zuhause angekommen fühle ich einen kurzen Moment wieder ein Stück Leere. Ich möchte jetzt meine Freunde sehen! Ich erinnere mich an den Punkt auf meiner Liste, schwimmen zu gehen. Doch da fängt das Problem an.
Ich möchte den Standort und die Öffnungszeiten des nächst gelegenen Schwimmbad googeln, die Busverbindungen prüfen und eine Freundin erreichen. Mir fallen nur recht aufwendige Lösungen auf dieses Problem ein und so entscheide ich mich vorläufig für einen anderen Punkt auf meiner Liste: das Fahrrad reparieren. Nachdem ich es erfolglos allein versucht habe (Wer-Weiß-Was stand mir nicht unterstützend zur Seite) scheitere ich daran, den günstigsten Fahrradreperaturdienst zu finden. Also putze ich. Macht leider ohne Musik noch weniger Spaß als sonst.
Auch das kochen verläuft nicht zu meiner kulinarischen Zufriedenheit: ich kann nur auf Rezepte zurück greifen ich im Kopf habe. Statt Nudeln mit Tomatensoße würde ich gern das Curryhuhn-Rezept aus einer Zeitschrift nach kochen, welche meine Mutter mir gegeben hat.
Ich möchte sie fragen, wie sie die Welt „damals“ ohne neue Medien erlebt hat. Natürlich kann ich sie ohne Telefon oder Skype nicht erreichen. In einer globalisierten Welt braucht man globalisierte Mittel, um in Kontakt zu bleiben.
Doch ich erinnere mich an ein Gespräch aus meiner Schulzeit. Ich bereitete ein Referat vor und bezog mich dabei auf Internetquellen. Als sie mir erzählte, dass sie damals in die Bibliothek ging und den Inhalt für ihre Referate mühevoll aus Büchern zusammen suchte, habe ich sie nur ungläubig angestarrt.
Da ich nun den ganzen Tag von einer nicht-funktionierenden Planung in die nächste gestürzt bin, fühle ich mich nun doch leicht genervt und gestresst. Zum Ausgleich möchte ich Sport treiben, doch kaum bin ich im Fitnessstudio, muss ich meine Ziele über den Haufen werfen: TV-Bildschirme zeigen mir das Tagesprogramm an, die Nachrichten laufen im Stummodus während aus den Lautsprechern motivierende Musik dringt.
Challenge failed!
Die Medien helfen uns. Jeden Tag. Haben wir verlernt, unseren Alltag ohne sie zu meistern? Womöglich. Man mag darüber lamentieren, dass etwas verlernen zwangsläufig etwas negatives ist. Doch dem wird ein positiver Gegenpol gestellt: wir müssen es nicht mehr können – wir können Anderes!
Evolutionär gesehen machte der Mensch schon immer Gebrauch von den Dingen, die ihm Nützen. Wofür es ein Werkzeug gibt, wird nicht mehr mit den Händen bearbeitet. Karten lesen wir nur noch im Geschichtsunterricht, statt dessen lernen wir das Navigationssystem zu bedienen (oder direkt zu programmieren). Wir erstellen „Power-Points“ und Excel-Tabellen. Technik ersetzt Handwerk.
Ich sehe die Medien nicht als zeitraubenden Stressfaktor, sondern als Freund und Helfer im Alltag. Wir erinnern uns an die spezifische Form von Beziehung die der Konsument zu medialen Gegenständen hegen kann. Plötzlich kann ich den Standpunkt nachvollziehen: auf einen Freund, von dem du Unterstützung bekommst, der dir Ratschläge erteilt und dich (z.B. beim Sport, kochen oder der Fahrradreperatur) unterstützt, möchtest du nicht verzichten. Er ist ständig abrufbereit und immer für dich da. Genau wie das Mobiltelefon. Genau wie du.
Medien sind vor allem wichtig, um Tagesaktuelle Nachrichten sofort mitzubekommen. Sie sind sogar fester Bestandteil im politischen Weltgeschehen und nehmen eine wichtige Rolle ein. So verhängte der türkische Präsident Erdogan eine Twitter- und Facebooksperre, nachdem sich Protestbewegungen mithilfe von social media mobilisiert hatten. Auch in Budapest werden aktuell Mobiltelefone zum Symbol des Widerstandes gegen die Pläne der Regierung unter Präsident Orbán, eine Internetsteuer einzuführen.
Durch Technik wird auch der Uni-Alltag leichter: Informationen lassen sich binnen Sekunden auf dem Smartphone abrufen und auch die Verwaltung von tausenden Studenten wird über Computersysteme der Unis wie StudIP erleichtert.
Dadurch geht alles viel schneller! Das Gefühl von Zeitdruck ist also dem Wunsch geschuldet, dass der Alltag zum Beispiel im Transportwesen und Haushalt schneller und leichter vonstatten geht. Auf diese Weise schafft man an einem Tag mehr, was das Gefühl mit sich bringt, die Zeit würde rasen.
Die Kritik an den Medien mag berechtigt sein, doch wir dürfen nicht vergessen, dass uns die jüngsten technischen Entwicklungen unterstützen und helfen. Das umschließt auch die Technisierung von Medien, den sogenannten ‚Neuen‘ Medien. Wir müssen in unserer Kritik berücksichtigen, dass die neuen Medien unseren Alltag gestalten und leichter machen. In manchen Positionierungen aktueller Debatten werden sie als Feind wahrgenommen. Wir sollten anfangen, sie als Freunde zu akzeptieren.
Mandy Lüssenhop
Dieser Artikel entstand im Rahmen des Medien-Kompetenzseminars der Georg August Universität Göttingen und wurde in keinem konventionellen Medium publiziert.
Textquellen: te Wildt, Bert Theodor: Erkärungsansätze für das Phänomen Internetabhängigkeit, über Fachverbund Medienabhängigkeit e.V., Forschungsergebnisse
Bildquelle Titelbild: Das Mobiltelefon ist unser ständiger Begleiter, Pixabay (CC)
Liebe Mandy,
vielen Dank für den Artikel! Erst klingt es wir Urlaub und dann merkt man beim Lesen, ohne Medien geht es halt doch nicht…
Ich könnte wohl auch keinen Tag ohne aushalten!
LG Fee
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Die Kunst liegt wohl darin, dass richtige Mittelmaß für sich zu finden.
Das Zitat zur Internetabhängigkeit ist spannend. Für mich klingt das so, als seien 75% aller jungen Menschen abhängig. Mag sein, aber fühlt sich nicht so an, als seien wir deshalb alle psychisch gestört.
Interessant finde ich auch dass das Smartphone viele Aufgaben übernimmt, die früher nicht-digitale Geräte für uns übernommen haben, wie zum Beispiel, den Wecker, die Uhr, den Busplan etc. Dadurch wird es noch schwieriger auf das Smartphone zu verzichten. Andererseits ist es natürlich superpraktisch, alles in einem Gerät zu integrieren. 🙂
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